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Infrastrukturen: Alles muss fließen

Position
Berlin – 12. August 2019

Infrastrukturen sind die Lebensadern der modernen Gesellschaft. Das gilt gerade auch für attraktive, leistungsfähige Mobilität. Doch Ausbaupläne für die Zukunft werden immer häufiger durch Bürgerproteste in Frage gestellt. „Alles im Fluss” ist der Titel eines Buches, mit dem der Leipziger Historiker Dirk van Laak „Geschichte und Zukunft der Infrastruktur” beschreibt.

Es ist heute kaum vorstellbar, was der Autor zum Einstieg in sein umfangreiches, wissenschaftlich fundiertes, aber – trotzdem – gut lesbares Werk beschreibt: Im Jahr 1952 entrüstet sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Rahmen der Berichterstattung über eine Nato-Tagung in Portugal über ein „für deutsche Ohren bizarr und unverständlich” klingendes Wort. Die Redaktion empfahl, den Ausdruck „Infrastruktur” „immer ins Deutsche zu übersetzen”. Genüsslich verfolgt van Laak, dass der heute so gegenwärtige Begriff bis in die Gegenwart durchaus skeptisch gesehen werden kann. So zitiert das Buch einen Beitrag der Süddeutschen Zeitung aus diesem Jahrzehnt, der Infrastruktur zur „diffusen Allzweckmetapher für nahezu jede Form von System” erklärt.

Mit der Akribie des forschenden Historikers und mit vielen Anekdoten beschreibt der Autor, Professor für Deutsche und Europäische Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts an der Universität Leipzig, im wesentlichen die zwei Jahrhunderte seit Beginn des Industriezeitalters unter dem Blickwinkel, wie moderne Infrastrukturen die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung nicht nur begleitet, sondern überhaupt erst möglich gemacht haben – von der Kanalisation über die Telekommunikation bis zu den Verkehrsinfrastrukturen mit dem Siegeszug von erst Eisenbahnen und dann Autobahnen. Das Buch blickt über den Tellerrand hinaus, beschreibt beispielsweise die Erschließung des Wilden Westens in den USA ebenso wie die düsteren Feldzüge der europäischen Kolonialmächte in Afrika und Asien und den Nazi-Wahn, Berlin zu einer Megacity namens Germania zu verwandeln – stets mithilfe des Ausbaus der Infrastrukturen.

Intensiv beschäftigt sich van Laak mit gegenwärtigen Entwicklungen und Fragestellungen. Er zeigt beispielsweise auf, wie die Bekämpfung des „Freifahrerverhaltens” von Schwarzfahrern letztlich Ausgangspunkt für heutige Maut- und Gebührensysteme ist. Er diskutiert Chancen und Grenzen von Public Private Partnerships für den Ausbau oder die Grunderneuerung vorhandener Infrastrukturen vom privaten Management von Schulgebäuden angefangen bis hin zum Autobahnbau. Der Historiker bleibt mit seiner Bewertung zurückhaltend: „Ob die Bilanz der Privatisierung insgesamt positiv oder negativ ausfällt, muss vermutlich für jeden Fall separat beantwortet werden.” Die „kritischen Rückblicke” auf Deregulierungen hätten aber deutlich zu genommen.

Skeptisch ist der Autor, ob Infrastrukturprojekte künftig noch im bisherigen Umfang realisierbar sein werden: „Waren infrastrukturelle Großprojekte bis in 1970er Jahre hinein Ikonen der wissenschaftlich-technischen Rationalität, sind sie inzwischen eher zu Brennpunkten des zivilgesellschaftlichen Protests geworden.” Und da werde dann häufig mit „Demokratiedefiziten” und Korruption argumentiert. Aller Erfahrung nach, so van Laak, sollte „die Möglichkeit quer laufender Prozesse mit einkalkuliert werden.” Dafür eignen sich nach seiner Meinung die Instrumente des Planungsrechtes, um Projekte nicht erst vor einem Mediator oder einem Richter zur Entscheidung zu bringen. Schwachpunkt ist und bleibe der Mensch: der Politiker, der sein Lieblingsprojekt in seiner Wahlperiode durchsetzen will, der „Nimby”-Bürger, der sich mit dem berüchtigten Satz „not in my backyard” gegen jede Veränderung in seinem Umfeld wehrt.

Offen bleibt das Buch im Ausblick auf die Zukunft der Infrastrukturen. Ökologische Denkweisen würden die Gesellschaft verändern: Die „Faszination des Automobilismus und des individuellen Unterwegsseins” habe ihren Höhepunkt „längst überschritten”. Die jüngere Generation habe ein „instrumentelles und sachliches Verhältnis etabliert, das dem Fahrrad und dem öffentlichen Nahverkehr zu neuen Ehren verhilft und Elemente der Sharing Economy in sich aufnimmt.” Der umweltbewusste Ansatz zeige deutliche Trends hin zu dezentralen und lokalen Infrastrukturangeboten, die die Belange des Naturschutzes stets im Blick halten. Auch künftig müssten individuelle und übergeordnete Interessen des Gemeinwohls so ausgeglichen werden, dass alle damit leben können. Der Autor beschließt sein Werk ergebnisoffen: „Es wird aber sehr spannend zu beobachten sein, wie die Geschichte der Infrastrukturen weiter geht.”

Buchcover:

Das Buch ist im vergangenen Jahr im S.Fischer-Verlag erschienen, 366 Seiten, Hardcover 26 Euro, E-Book 22,99 Euro. Die Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung hat jetzt eine Sonderausgabe des Buches (Band 10347) für 4,50 Euro plus Versandkosten heraus gegeben.

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