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Verkehrswende: Mut und Ambitionen

Position
Berlin – 21. März 2019

3 Fragen an Dr. Frederic Rudolph, Projektleiter Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik beim Wuppertal Institut

Klimaschützer sind sich sicher: Deutschland benötigt schnellstmöglich eine umfassende Verkehrswende. Das Szenario „Verkehrswende für Deutschland: Der Weg zu einer CO2-freier Mobilität bis 2035“ zeigt einen Weg auf, wie die CO2-Emissionen des Verkehrs bis 2035 auf Null gesenkt werden können. Welche Maßnahmen dazu nötig sind und welche Auswirkungen sie auf unsere Mobilität haben, erläutert der Entwickler des Szenarios, Dr.-Ing. Frederic Rudolph im Interview.

Der Begriff Verkehrswende ist in den Medien aktuell sehr präsent. Klimaschützer fordern sie explizit ein, bei manchen Politikern ist der Begriff eher unbeliebt. Was verstehen Sie unter der Verkehrswende und warum wird sie heute so dringend benötigt?

Verkehr ist Teil des Alltags in unserer Gesellschaft. Mobilität ermöglicht Teilhabe am sozialen Leben und ist Grundlage für die internationale Arbeitsteilung. Verkehr verursacht aber auch Lärm und Schadstoffe, beansprucht Fläche und zerschneidet Landschaften. Deshalb sollte er auf ein nötiges Minimum reduziert werden. Gerade in Hinblick auf die deutschen und internationalen Klimaschutzziele ist ein deutlicher Kurswechsel nötig, denn im Sektor Verkehr stagnieren die CO2-Emissionen seit Jahrzehnten. Aufgrund der puren Energienachfrage des Sektors ist die Strategie einer Elektrifizierung nicht ausreichend. Eine Verkehrswende bedeutet daher weniger und kleinere Autos sowie weniger gefahrene Pkw-Kilometer. Nur dann ist eine komplette Elektrifizierung der Pkw-Flotte bei beschleunigtem Ausbau erneuerbarer Energien sinnvoll und möglich. Im Güterverkehr werden zukünftig auch synthetische Kraftstoffe zur Anwendung kommen müssen. Eine solche Verkehrswende hätte viele Vorzüge, etwa lebenswerte Städte und geringere Kosten für individuelle Mobilität.

Welche zentralen Maßnahmen müssen aus Ihrer Sicht realisiert werden, damit die angestrebte Verkehrswende erfolgreich sein kann?

Der Umweltverbund ist zu stärken, um ein attraktives Verkehrsangebot bieten zu können – auch außerhalb der Ballungszentren. Dazu gehören unter anderem Investitionen in die Schiene, etwa die Reaktivierung von Überholgleisen und Weichen und die Anbindung weiterer Städte an das Netz. Der Öffentliche Nahverkehr muss attraktiver, der Fahrplantakt erhöht und die Bedienzeiten ausgeweitet werden. Ein umfangreiches Netz aus Radwegen ermöglicht inner- und außerorts sicheres, schnelles und weites Fahren mit dem Rad oder Pedelec auf Berufs- und Freizeitwegen. Innerorts ist der Ausbau eines separaten Radwegenetzes oftmals gar nicht nötig: Die vermehrte Einführung und Durchsetzung von Tempo 30 in der Stadt ermöglicht sicheres Radfahren, ohne dabei notwendigerweise die Fahrzeiten mit dem Pkw zu erhöhen.

Die Praxis ambitionierter, fortschrittlicher Städte und Länder weltweit zeigt aber auch, dass die Erreichung unserer Klimaschutzziele und nachhaltige Entwicklung nur mit Restriktionen im motorisierten Individualverkehr ermöglicht werden kann. Dieser sollte zunehmend teurer werden – realisierbar über Zulassungs- und Umlaufsteuern auf Basis des Energieverbrauchs von Pkw sowie eine distanzbasierte Pkw-Maut. In Dänemark beispielsweise gilt eine Zulassungssteuer für Pkw, die über den Preis wirksam wird. Das heißt, dass teure Autos eine hohe Zulassungssteuer zur Folge haben. In der Konsequenz fahren die Dänen im Durchschnitt kleinere Autos als die Deutschen und verbrauchen auf diese Weise im Durchschnitt auch weniger Kraftstoff. Die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs kann ebenfalls neue Steuerungsimpulse schaffen: Sie würde zu einer Verkleinerung der derzeit oftmals großen Dienstfahrzeuge führen.

Welche Weichen muss die Politik stellen, damit diese Maßnahmen schnellstmöglich umgesetzt werden können?

Es ist ein mutiges, ambitioniertes und vor allem kohärentes Handeln aller Politikebenen nötig. Die verschiedenen Politikmaßnahmen können nur als gemeinsames Paket erfolgreich sein. Dies fängt an bei den Flottenverbrauchslimits der Europäischen Kommission, geht über die fiskalischen und regulativen Maßnahmen der verschiedenen nationalen Ressorts, bis hin zur Parkraumbewirtschaftung in den Kommunen.

Szenario: Deutschlands Verkehrswende in acht Punkten

Im Jahr 2035

  • sind die Raumstrukturen stärker verdichtet und die Wege kürzer.
  • kommen bundesweitdurchschnittlich 200 Pkw auf 1.000 Einwohner.
  • hat sich der Anteil des Öffentlichen Verkehrs und des Fahrrads verdoppelt, während sich die Anzahl der Wege mit dem Auto halbiert hat.
  • ist „Sharing Mobility“ in Städten allgegenwärtig und wird auch im ländlichen Raum zunehmend genutzt.
  • sind die verbleibenden Pkw auf deutschen Straßen Elektroautos, die mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden.
  • ist die Lebensqualität der Städte höher. Stau, Lärm und Unfälle sind deutlich reduziert.
  • hat sich der Transport von Gütern zu einem großen Teil von der Straße
    auf die Schienen verlagert, wo sich die Kapazität nahezu verdoppelt.
  • wird der Güterfernverkehr auf der Straße zu 80 Prozent über Oberleitungen elektrifiziert. Der Rest nutzt klimaverträgliche synthetische Kraftstoffe.
Foto: Dr.-Ing. Frederic Rudolph

ZUR PERSON

Dr.-Ing. Frederic Rudolph ist seit 2014 als Projektleiter am Wuppertal Institut in der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik im Forschungsbereich Mobilität und internationale Kooperationen tätig. Das Wuppertal Institut erforscht und entwickelt Leitbilder, Strategien und Instrumente für Übergänge zu einer nachhaltigen Entwicklung auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Im Zentrum stehen Ressourcen-, Klima- und Energieherausforderungen in ihren Wechselwirkungen mit Wirtschaft und Gesellschaft. Beim „Global Go To Think Tank-Ranking 2018“ der University of Pennsylvania belegt das Institut den neunten Platz und gilt damit als einer der zehn wichtigsten Think-Tanks weltweit.

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