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Brennpunkt Verkehrswende

Der Ruck für saubere Mobilität

Position
Berlin – 25. Februar 2021

Trotz Corona gewinnt das Thema Klimaschutz an Fahrt. Endlich. Doch darüber zu reden, reicht nicht. Gefragt ist zupackendes Handeln.

Mehr als 20 Jahre ist es her, dass Roman Herzog als siebter Bundespräsident den sprichwörtlich gewordenen „Ruck” durch Deutschland forderte. Was er damals über eine satt gewordene Nation der Bedenkenträger und Bürokraten formulierte, ist heute noch lesenswert – dank Internet ist das problemlos möglich. Leider ist diese Rede heute in vielen Punkten immer noch genauso brandaktuell wie damals, noch vor der Jahrtausendwende.

Auch in Sachen Klimaschutz ruckelt es eher. Zwar sind die Medien gefüllt mit Nachrichten über gute Absichten, neue Kooperationen, engagierte Pläne, hohe Investitionen. Insbesondere die Wirtschaft scheint verstanden zu haben, dass die weithin vollständige Eindämmung von CO2 -Emissionen „alternativlos” ist. Die Politik ist gefordert. Sie muss sich aufraffen zum vielfältigen konstruktiven Miteinander, über gedankliche und tatsächliche Grenzen hinweg, auf kommunaler Ebene genauso wie in Bund, Ländern und Europa. Im Zusammenspiel auch mit Wissenschaft und Forschung: Wenn sich aus der Pandemie eine positive Lehre ziehen lässt, dann ist es doch die der schnellen, erfolgreichen Impfstoffgewinnung. Da ist tatsächlich ein Ruck durchs Land gegangen.

Den braucht auch der Klimaschutz im Verkehr. Erst kürzlich hat Baden-Württembergs „grüner” Verkehrsminister Winfried Hermann noch einmal in Erinnerung gebracht, dass für eine Verkehrswende die Zahl der ÖPNV-Kunden aus den Vor-Corona-Zeiten verdoppelt werden muss. Stolz verweist Hermann auf die ÖPNV-Zukunftskommission, die 130 Ausbauziele für den Nahverkehr habe. Es sind die bekannten und richtigen Ideen: Häufigere Fahrten von Bus und Bahn in den Verdichtungsräumen, darüber hinaus „flexible Angebote” in ländlichen Regionen. Was noch fehlt, sind Umsetzungen oder mutige Schritte über Pilotanwendungen hinaus. Der Ruck fehlt: Das wäre dann die vordringlichste Aufgabe für die kommende Regierung im „Ländle“.

Da ist die Hamburger Hochbahn schon einen Schritt weiter. Sie hat am Kapitalmarkt einen „Green Bond” platziert und beschafft sich 500 Millionen Euro, mit denen im Wesentlichen 50 neue U-Bahnen und 160 elektrische Busse finanziert werden sollen – innerhalb von zehn Jahren. Ein „Wirkungsreport” soll dokumentieren wie viele Emissionen vermieden und wie stark die Kapazitäten ausgeweitet werden konnten. Darum geht es ja: ÖPNV muss jederzeit für jedermann verfügbar werden. Ob das Hamburger Beispiel bei den kommunalen Verkehrsunternehmen Schule macht?

Überlegungen, Stadtzentren autofrei zu gestalten, werden in großen und kleinen Städten angestellt. In Berlin kommt die Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei” gleich mit der Dampfwalze. Sie möchte gern hunderttausenden Berlinerinnen und Berlinern in den City-Bereichen innerhalb des S-Bahn-Ringes das private Autofahren deutlich einschränken und nur noch strikte Ausnahmegenehmigungen zulassen. Das wäre ein Hau-Ruck-Verfahren in preußisch-autoritärer Vorgehensweise, im demokratischen Entscheidungsprozess sicherlich so nicht durchsetzbar. Mehr Cleverness zeigt da doch der BUND Naturschutz in München. Er ist Initiator eines Projektes „Westendkiez” mit einem zeitlich befristeten „autoreduzierten Quartier”. „Wir müssen uns nur trauen, vom Auto wegzudenken”, heißt es. Quintessenz auch hier: Es tut sich was, man versucht etwas. Versuch und Irrtum als Schritte auf dem Weg vorwärts.

Neue Ideen für die Mobilitätswende probiert man auch im Ausland aus. Beispiel Spanien: Zwischen Madrid und Barcelona fliegen so viele Jets wie kaum sonst in Europa. Spaniens Staatsbahn Renfe nimmt den Klimakampf auf. Sie führt im Juni eine neue Zuggattung auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen den beiden Metropolen ein, den „Avlo”. Das steht für „Alta Velocidad Low Cost”, also einen schnellen Billigflieger auf Schienen. Ob’s was wird, muss sich zeigen. Doch es ist schon wieder eine Idee für CO2-freien Verkehr. Vielleicht ist es der Ruck zum Abbau von Kurzstreckenflügen.

Foto: Eberhard Krummheuer

ÜBER DEN AUTOR

Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.

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