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Klotzen statt Kleckern

Position
Berlin – 24. Juni 2019

Eine von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina veröffentlichte Stellungnahme macht deutlich, dass kleinräumige Maßnahmen zur Realisierung der Verkehrswende nicht ausreichen.
Im Interview erläutert Prof. Dr. Martin Lohse, Leiter der Arbeitsgruppe, die die Stellungnahme erarbeitet hat, den Ansatz der Arbeitsgruppe.


Herr Lohse, Ihrem Bericht ist zu entnehmen, dass sich in puncto Luftverschmutzung in den vergangenen Jahren einiges getan hat. Kurz: Die Luftqualität hat sich deutlich verbessert. Und dennoch mahnen Sie dringend Handlungsbedarf an. Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen?

Ja, die Geschichte der Luftreinhaltung in Deutschland ist zunächst einmal eine Erfolgsgeschichte – politisch und technisch. Viele Schadstoffe, die früher eine wichtige Rolle gespielt haben, konnten über die letzten Jahrzehnte stark reduziert werden. Das gilt zum Beispiel ganz massiv für das Schwefeldioxid. Aber es bleiben noch Probleme – vor allem, was die Gesundheitsgefahren betrifft, Feinstaub in seinen verschiedenen Varianten. Und dann haben wir das Problem von Kohlenstoffdioxid, CO2, mit seiner großen Bedeutung für das Klima.

Welche Rolle spielt dabei der Verkehr?

In beiden Fällen spielt der Verkehr nur eine Rolle von vielen. Das macht integrierte und umfassende Konzepte nötig, wenn wir wirklich etwas ändern wollen. Konzepte, die die verschiedenen Quellen ins Auge fassen. Anders ist es nur bei den Stickstoffoxiden – hier hat der Verkehr, vor allem ältere Dieselmotoren, die größte Bedeutung.

Einzelne Städte haben ja bereits reagiert und zum Beispiel Fahrverbote und Sperrungen einzelner Straßen erlassen. Wie wirksam sind solche Maßnahmen?

Was den Feinstaub betrifft, der die größte Bedeutung für die Gesundheit hat, bringen solche lokalen Sperrungen so gut wie nichts. Feinstaub ist stabil und verteilt sich weit – er bildet die Dunstglocke, die wir oft über einer ganzen Stadt sehen. Anders ist es bei Stickstoffoxiden – die sind kurzlebig und kommen überwiegend aus dem Straßenverkehr. Sie sammeln sich deshalb an Verkehrsknotenpunkten. Aber sie stellen von den drei hier angesprochenen Problemen – Klimagase, Feinstaub und Stickstoffoxide – das deutlich kleinste dar.

Und welchen Weg schlagen Sie stattdessen vor?

Wir schlagen drei Dinge vor: erstens, eine nachhaltige Verkehrswende, die sowohl den Ausstoß von Klimagasen als auch von Feinstaub reduziert; zweitens ein integriertes Konzept für die Luftreinhaltung, das alle Quellen und Schadstoffe betrachtet; und drittens Vermeidung von kurzfristigen Maßnahmen, die wenig bis nichts bringen – und dazu gehören unseres Erachtens auch kleinräumige, lokale Fahrverbote.

In dem Bericht fordern Sie unter anderem eine nachhaltige Verkehrswende. Wie müsste diese aussehen?

Mobilität hat einen hohen Wert – aber der Preis, den wir langfristig dafür zahlen, ist derzeit zu hoch. Wir brauchen Verkehrsstrukturen, die wir langfristig aufrecht halten können. Eine solche Umstellung wird aus einer Vielzahl von Maßnahmen und Technologien bestehen und muss zügig, aber gründlich bedacht und dann auch umgesetzt werden. Dazu werden emissionsarme Fahrzeuge im öffentlichen wie im privaten Verkehr gehören, integrierte öffentliche Verkehrssysteme, Reduktionen im Energieverbrauch, bessere Fahrradwege und viele weitere Elemente.

„Die Entwicklung von emissionsarmen Formen der Mobilität wird nicht nur zur Verminderung von verkehrsbedingten Belastungen, sondern auch für die Wirtschaft von hoher Bedeutung sein“, heißt es in der Stellungnahme. Können Sie das konkretisieren?

Deutschland ist ein Autoland – das ist eine für uns zentrale Industrie. Insofern haben wir ein ganz hohes Interesse daran, dass wir auch in Zukunft die Fahrzeuge herstellen, die die Welt will: die Fahrzeuge, die auch im Verkehrssystem von morgen nachgefragt werden. Wir sollten unseren Ehrgeiz darein setzen, zukunftsfähige Verkehrssysteme nicht nur bei uns zu etablieren sondern sie auch zu exportieren.

Die Maßnahmen, die Sie beschrieben haben, sind sicher nicht von heute auf morgen umsetzbar. Wie könnte ein erster wirksamer und vor allem realistischer Schritt aussehen?

Zunächst kommt es darauf an, tragfähige Konzepte zu erstellen und für sie einen möglichst breiten Konsens finden. Wir wollen sowohl die Reinhaltung der Luft als auch Umgestaltung des Verkehrssystems attraktiv gestalten. Nur dann kann die praktische Umsetzung gelingen. Hieran kann und will die Leopoldina mitarbeiten.

Professor Dr. Martin Lohse

Über den Experten

Professor Dr. Martin Lohse ist Vize-Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina; Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), Berlin, und einer der Sprecher der Arbeitsgruppe, die die Stellungnahme "Saubere Luft - Stickoxide und Feinstaub in der Atemluft: Grundlagen und Empfehlungen" erstellt hat. Der Arbeitsgruppe gehören Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus folgenden Fachgebieten an: Medizin, Toxikologie, Biologie, Chemie, Epidemiologie, Technikwissenschaften, Statistik, Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften, Soziologie, Verkehrsforschung und Materialwissenschaften.

Hier geht es zur Stellungnahme der Arbeitsgruppe der Leopoldina: „Saubere Luft – Stickstoffoxide und Feinstaub in der Atemluft: Grundlagen und Empfehlungen“ (2019).

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