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Blickpunkt MOBILITÄTSWENDE

Schluss machen mit dem „Weiter so”

Position
Berlin – 10. November 2022

Klare Worte vom Klimaschutz-Expertenrat der Bundesregierung: Die für 2030 anvisierten Klimaziele seien so gut wie nicht erreichbar, erforderlich sei ein „Paradigmenwechsel”. Gerade in der Mobilität: Im Verkehrssektor müsste die Verminderung der Emissionen 14mal so hoch sein. Politik und Gesellschaft scheinen überfordert.

Der Ukraine-Krieg und die ihm folgende Energiekrise waren gut für markige Worte: „Zeitenwende”, „Doppel-Wumms”. Doch im Bestreben, das Land aus dem tiefen Tal zu führen und es allen Recht zu machen, ist das Regierungshandeln typisch deutsch: viel reden und zerreden, wenn überhaupt handeln, dann nur zögerlich. Das betrifft nicht nur die verzweifelt gesuchten und allenfalls halb gefundenen Problemlösungen für ausreichende Brennstoffmengen im Winter. Es ist genauso zu beobachten in der Verkehrspolitik.

Nach den Aussagen aller politischer Sonntagsredner ist seit Jahren sonnenklar: Für den Klimaschutz muss ganz schnell die Mobilitätswende kommen – weniger Individualverkehr, mehr Busse und Bahnen. Das Deutschlandticket für 49-Euro als bundesweiter Monatsfahrschein ist vielleicht die Chance, insbesondere Pendlerinnen und Pendler in großer Zahl zum Umsteigen vom Auto auf den ÖPNV zu bewegen. Es gibt Verkehrsverbünde, die rechnen mit Neukund*innen in sechsstelliger Zahl. Das liegt auf der Hand: Für viele wird der Weg zwischen Wohnort und Arbeitsplatz richtig preiswert, weitaus billiger als die bisherigen Monatskarten.

Freilich: Noch ist offen, wann das Deutschlandticket kommt. Wochenlang haben sich Bund und Länder gestritten, wie das Ticket finanziert werden soll. Ein Streit wie um des Kaisers Bart, denn letztlich war von Anfang an klar, dass beide – Bund wie Länder – ihre Kassen öffnen müssen. Es geht um viele Milliarden Euro pro Jahr – und für die Anlaufkosten. Für die Mobilitätswende, für den dafür vom Expertenrat mahnend eingeforderten Paradigmenwechsel. Vermutlich ist es gut angelegtes Geld, um die Erderwärmung zu bremsen. Wieder typisch deutsch aber: Es wird gerungen, argumentiert, gefordert, abgelehnt. Das dauert. Und am Ende bleibt der Kompromiss unfertig: Die praktische Umsetzung des Tickets ist weithin unklar, verschiebt sich wohl, und die Frage, wie die Mindereinnahmen der Verkehrsunternehmen ausgeglichen werden sollen, hat noch viele Fragezeichen.

Man kann und muss „die Politik”, die ihre Hausaufgaben nicht vollständig abarbeitet, dafür kritisieren. Doch sehen sollte man auch: Die Protagonist*innen in Bund und Ländern, die sich dort um vernünftige Lösungen für die Verkehrswende bemühen, sind Spiegel einer Gesellschaft, die müde, verunsichert und initiativlos geworden ist. Die sieht zwar den Klimawandel auf sich zukommen, doch sie tut wenig, um die Katastrophe zu verhindern. Die Zulassungszahlen bei den Autos zeigen das deutlich, die täglichen Staumeldungen von den Autobahnen in den Ballungsgebieten untermauern den Irrwitz des ungebremsten Individualverkehrs. Und der kräftig wachsende Flugreisetourismus – ohne Maskenpflicht übrigens – nach den Coronawellen spricht auch nicht für weit verbreitetes Umweltbewusstsein.

Dann sind da jene, die sich wie ehedem mit der Lichthupe die freie Fahrt für mündige Bürger*innen erkämpfen wollen. Tempo 100 auf der Autobahn? Nicht doch. Wir sind in einer lautstarken, aggressiven Zeit angekommen. Nur die eigene Meinung zählt, nur die eigenen Ziele sind vor Augen. Miteinander? Das wird zunehmend zum Fremdwort. Auch in Bussen und Bahnen: Die Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten gegenüber dem Fahrpersonal, das Maskenpflicht einfordert, sind ein trauriges, beschämendes Beispiel.

Die Verrohung der Sitten ist auch bei einer sehr speziellen Spezies der Klimaschützer*innen zu beobachten. Die selbst ernannte „Letzte Generation” meint, sich für den Klimaschutz alles erlauben zu können, über alle Grundsätze und Regeln der zivilisierten Gesellschaft hinweg. So kann es nicht weitergehen.

Foto: Eberhard Krummheuer

ÜBER DEN AUTOR

Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.

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