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Studie: Verdopplung des ÖPNV-Angebots bis 2030 in Ba-Wü

News
Berlin – 27. April 2020

Die Bundesländer stehen vor der großen Aufgabe das Erreichen der Klimaschutzziele zu unterstützen. Ein großer Hoffnungsträger: der ÖPNV. Eine Studie des Verkehrswissenschaftlichen Institutes Stuttgart hat sich den von der Bundesregierung formulierten Zielen – im Abgleich mit der aktuellen Nahverkehrssituation – angenommen, diese finanziell bewertet und konkrete Maßnahmen für das Land Baden-Württemberg formuliert.

Der ÖPNV ist ein maßgeblicher Faktor zur Erreichung der europäischen Energie- und Klimaziele bis 2030. Fahrten mit dem Zug oder Bus sind verglichen mit dem Individualverkehr deutlich klimafreundlichere Mobilitätsalternativen. Vonseiten des Bundes wurden bereits einige Prozesse angestoßen, die eine schnellere und höhere Förderung des Öffentlichen Verkehrs betreffen. Um die Klimaziele erreichen zu können, muss laut Verkehrsminister Winfried Herrmann neben weiteren Faktoren auch die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs in Baden-Württemberg verdoppelt werden. Dabei ein wichtiger Punkt: Durch eine Attraktivitätssteigerung des ÖPNV einen Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel erleichtern. Die Vision, wie die Situation 2030 aussehen wird, hat der Verkehrsminister bereits parat: Ein Drittel weniger Individualverkehr in den Städten, mehr E-Fahrzeuge und klimafreundlicher Transport. Und jeder zweite Weg muss zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Was den ÖPNV betrifft, so muss dieser weiter ausgebaut und, so betont Verkehrsminister Herrmann, „stabiler und deutlich leistungsfähiger werden mit besseren Takten und immer besserem Service“.

Ambitionierte Ziele für den Umweltschutz

Die Dringlichkeit des Themas Dekarbonisierung ist in den Köpfen der Regierenden sowie innerhalb der Kommunen glücklicherweise bereits fest verwurzelt. Jener Tatbestand hebt auch der Verkehrsminister hervor. „Die Zielsetzung ist ambitioniert. Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen und die Anforderungen aus der Gesellschaft für den Ausbau des Öffentlichen Verkehrs besser denn je. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass das ÖPNV-Angebot verbessert und dafür mehr öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Das Land hat seine Mittel verdoppelt, der Bund verdreifacht und will die Investitionen bis 2026 sogar versechsfachen,“ hebt Herrmann hervor.

Wie wird das große Paket der Verkehrswende finanziert?

Erst kürzlich wurde das Bundes- und Landes-GVFG (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) erneuert – und beschert den Ländern und Kommunen eine erhöhte Finanzierung für Infrastrukturprojekte. Das Regionalisierungsgesetz erfuhr ebenfalls eine Anpassung. Die bislang für 2020 vorgesehene Erhöhung auf 8,8 Milliarden Euro wird nun um weitere 150 Millionen Euro aufgestockt. Auch kommt dem Bundesland Dank ÖPNV-Gesetz mehr Förderung zu. Aus Sicht der Verkehrsunternehmen ist die Finanzierung somit zumindest teilweise gesichert.

Studie stellt konkrete Maßnahmen heraus

Doch trotz Aufstockung der Töpfe für den ÖPNV und SPNV treiben viele unbeachtete Faktoren die potentiellen Kosten in die Höhe. In diesem Kontext stellten Anfang März die baden-württembergischen Verkehrsunternehmen dem Verkehrsminister des Landes Winfried Hermann eine Studie vor, mit welchen konkreten Maßnahmen die Ziele im drittgrößten Bundesland erreicht werden. Im Abgleich mit der aktuellen Nahverkehrssituation hat das Verkehrswissenschaftliche Institut Stuttgart Maßnahmen abgeleitet, die für eine Grunderneuerung der bestehenden Systeme bei Bus und Bahn notwendig sind und diese anschließend finanziell bewertet. Die Studie zeigt auf, dass für die Verdoppelung des ÖPNV-Angebots und die Erfüllung weiterer – auch gesetzlich vorgeschriebener Vorgaben – ein deutlich höherer Einsatz finanzieller Mittel für den Nahverkehr erforderlich ist, als aktuell angedacht. Personelle Engpässe in den verschiedenen Branchen müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Die Hürden dieses Vorhabens zeigt Dr. Alexander Pischon, Vorsitzender der VDV-Landesgruppe Baden-Württemberg, auf. „Vor uns liegt ein Kraftakt: Wir wollen in einer Situation des Sanierungsstaus die Infrastruktur und das Angebot bei Bus und Bahn erheblich ausbauen. Dabei müssen wir zunächst das Bestehende grunderneuern, barrierefrei gestalten sowie modernisieren und elektrifizieren. Hierfür allein veranschlagen wir für die nächsten zehn Jahre zusätzliche Kosten von rund 690 Millionen Euro jährlich. Parallel dazu erfolgt der Ausbau. Wir stellen uns der Herausforderung und sind zuversichtlich, dass wir die Ziele gemeinsam mit dem Verkehrsministerium erreichen.“

Betriebskosten für Fahrzeuge und Infrastruktur

Die Nahverkehrsbranche Baden-Württembergs gibt rund drei Milliarden pro Jahr für den Betrieb sowie Investitionen in Fahrzeuge und Infrastruktur aus. Diese Ausgaben werden etwa je zur Hälfte durch Fahrgelderlöse und öffentliche Zuschüsse finanziert. Die Autoren der Studie ergänzen ihre Berechnungen im zweiten Schritt mit den erforderlichen Ausbaumaßnahmen in der Stadt und auf dem Land und gleichen die notwendigen Kosten mit den derzeit bereitgestellten Budgets aus Bund und Land ab. Insgesamt geht der VDV jedoch davon aus, dass der Umfang der bereits vorgesehenen finanziellen Mittel hierfür nicht ausreichen wird. Der Vorsitzende der VDV-Landesgruppe Dr. Pischon stellt dahingehend fest: „Für den Angebotsausbau bei der Bahn, im städtischen Nahverkehr und im regionalen Busverkehr werden wir, abzüglich der Fahrgeldeinnahmen, Gelder für zusätzliche Fahrzeuge und steigende Betriebskosten in Höhe von rund 470 Millionen Euro jährlich benötigen.“ Für den Infrastrukturausbau bis 2030 geht die Studie von weiteren 500 Millionen Euro pro Jahr aus. Darin enthalten sind unter anderem: Modernisierungs- und Neubaumaßnahmen von Bahnhöfen, Haltestellen und Strecken sowie der Bau neuer Busspuren und der Ausbau und die Beschleunigung des Busverkehrs.

Fahrpreis-Maßnahmen: Zuschüsse, Fahrpreis-Reform und Förderung von Jobtickets

Die Studie betrachtet ebenfalls Fahrpreis-Maßnahmen, die teilweise bereits umgesetzt wurden. Neben den Zuschüssen beim bwtarif für das ganze Land und der Fahrpreis-Reform im Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart, sollen auch die Jobtickets landesseitig stark unterstützt werden. Insgesamt bedarf es noch weiterer Rahmenbedingungen, um den Öffentlichen Verkehr bis 2030 zu verdoppeln. Zum einen ist ein noch stärkeres finanzielles Engagement der öffentlichen Hand sowie eine Einführung neuer Finanzierungsformen, zum Beispiel durch Nahverkehrsabgaben, vonnöten. Auch der Faktor einer stärkeren Eigenfinanzierung wurde beleuchtet. Da die Studie vor dem Eintreten der Corona-Pandemie verfasst wurde und die Verkehrsunternehmen aktuell, ähnlich wie andere Branchen, mit Einnahmebußen zu kämpfen haben, ist vor allem dieser Aspekt neu zu bewerten.

Finanzgrundlage für Kommunen beim Ausbau des ÖPNV müssen geschaffen werden

Wie Kommunen beim Ausbau des ÖPNV finanziell unter die Arme gegriffen werden kann, muss laut des baden-württembergischen Verkehrsministers noch dringend festgelegt werden. Auch der VDV-Landesverband sieht hier Nachholdbedarf. „Kommunen brauchen perspektivisch eine eigene ergänzende Finanzgrundlage für den Ausbau des ÖPNV. Wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, dies verlässlich für ihre Situation passend umzusetzen und untersuchen dafür aktuell mehrere Instrumente in verschiedenen Regionen“, beteuert Pischon.

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