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Kommt das Fahrradrevolutiönchen im Ruhrgebiet?

News
Berlin – 15. Juli 2020

Das Fahrrad ist auf dem Vormarsch. Die Verkaufszahlen steigen in die Höhe, das E-Bike boomt. Ein gutes Rad zu besitzen ist das eine, eine sichere Radinfrastruktur das andere. Im Ruhrgebiet ist noch viel Luft nach oben in Sachen Sicherheit und Qualität – doch Volks- und Bürgerbegehren wenden die Situation zum Besseren.

„Der Mai war der stärkste Monat, den die Branche jemals erlebt hat“, so David Eisenberger vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). Das Fahrrad ist Profiteur der Corona-Krise. Fahrradfahren ist umweltfreundlich, gesund und hat sich während der Krise als verlässliches Verkehrsmittel erwiesen. Das Ruhrgebiet birgt viele Potenziale für eine Verbindung der Städte via Radweg – doch es muss noch viel gemacht werden, um das Radfahren in den Städten besser, sicherer und effektiver zu gestalten.

Die aktuelle Verkehrssituation

Das Ruhrgebiet ist ein Konglomerat aus über 50 Städten, Kreisen und Gemeinden mit über fünf Millionen Einwohnern. Die Stadtgrenzen sind fließend, Großstadt liegt an Großstadt. Das Pendeln in die nächste Stadt ist in der Regel ein leichtes Unterfangen – zumindest mit dem ÖPNV. Wer morgens mit dem Auto fährt, steht so gut wie immer im Stau. Die Pkw-Pendlerströme, die sich täglich durch die Metropole ziehen, sind nerven- und zeitraubend. Menschen und Umwelt leiden unter den Staus, die sich auf der Autobahn A40, der „Pulsader“ des Ruhrgebiets, zu den Stoßzeiten bilden. Einen Blick auf eine radikale Zukunftsvision gab die Veranstaltung „Stillleben“, die im Rahmen von RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas in der Region realisiert wurde. Für 24 Stunden wurde die A40 an einem heißen Julitag zur autofreien Zone erklärt. Fußgänger, Fahrradfahrer und Inline-Skater tummelten sich auf dem Asphalt – und bescherten den Anwohnern für einen Tag wortwörtlich ein „Still-Leben“.

Eine Fahrradvision fürs Ruhrgebiet

Beruhend auf dem positiven Echo der Veranstaltung vonseiten der Presse und der Teilnehmenden entstand beim Regionalverband Ruhr (RVR) die Idee des Radschnellweg 1, kurz RS1. Der Weg soll nicht nur den touristischen Wert der Region aufbessern, sondern auch die Autobahn entlasten sowie den Pendlern und der Umwelt dienen. Laut einer Machbarkeitsstudie des RVR könnten durch den RS1 ruhrgebietsweit jeden Tag mehr als 50.000 Wege und 400.000 Personenkilometer aufs Rad verlagert werden – das entspricht einem jährlichen Einsparpotenzial von mehr als 10.000 Tonnen Kohlendioxid. 2016 entstand der erste Abschnitt mit nur 14 Kilometern von rund 270 geplanten durch das Ruhrgebiet. Seitdem ist nicht viel passiert, da planungsrechtliche Probleme den weiteren Ausbau ausbremsen. Die Radinfrastruktur in und zwischen den Ruhrgebietsstädten ähnelt daher anhaltend einem Flickenteppich.

Essener Bürger engagieren sich für verbesserten Radverkehr

„Ein Grund für diese lückenhaften Verbindungen ist die Politik, die immer nur bis zur Stadtgrenze denkt und handelt. Wir müssen über die Grenzen hinausdenken, planen und Wege verknüpfen“, betont Dr. Björn Ahaus vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Der promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler forscht nicht nur in Sachen soziale Nachhaltigkeit, sondern lebt diese Werte auch über seine Arbeit hinaus – und seine Heimatstadt Essen profitiert von seinem Engagement. Aktuell ist er die treibende Kraft der Bürgerinitiative „Radentscheid Essen“, ein überparteiliches Bündnis mit über 40 unterstützenden Organisationen und Unternehmen. Via Volksentscheid soll über eine verbesserte, sichere und einheitliche Radinfrastruktur bestimmt werden. Kernforderungen sind unter anderem der Ausbau eines durchgängigen Netzes für den Alltagsradverkehr, von denen zehn Kilometer Strecke pro Jahr umgesetzt werden müssen, die Einrichtung von mehr Fahrradstraßen, die Öffnung von weiteren 100 Einbahnstraßen in Gegenrichtung sowie 12.000 zusätzliche Fahrradstellplätze.

Besonders kurze Strecken unter 5 Kilometern werden zurzeit noch verstärkt in Essen mit dem Auto zurückgelegt. Dabei sind es gerade diese kurzen Strecken, die mit dem Zweirad merklich schneller zu absolvieren sind. „Das Fahrrad ist in Essen – oder allgemein gesprochen in der Stadt – das schnellste Verkehrsmittel“, hebt Ahaus hervor. Die angestrebten Maßnahmen des Bündnisses sieht der Essener als maßgeblich für die Verkehrswende in seiner Stadt an: „Das Verkehrsverhalten wird sehr stark vom Angebot der Infrastruktur beeinflusst. Wenn wir mehr und vor allem gute Radwege in Essen haben, dann können wir mehr Menschen überzeugen, kurze Strecken mit dem Rad zurückzulegen“, ist sich der Radaktivist sicher.

„116 Millionen Euro gibt die Stadt Essen zurzeit für den Straßenbau aus, nur eine Million für den Radverkehr. Das Verhältnis stimmt einfach nicht. Der Radentscheid wünscht sich eine Gleichberechtigung hinsichtlich der finanziellen Mittel sowie der Flächenaufteilung“, so Ahaus. In diesem Ungleichverhältnis würden sich auch Aspekte der Sicherheit widerspiegeln. „Aufgepinselte Radstreifen sind keine richtige Infrastruktur. Szenen aus der Stadt Essen belegen dies – die Streifen sind zu schmal, direkt am Parkstreifen besteht die Gefahr von geöffneten Autotüren. Die Verletzungsgefahr hierbei ist sehr hoch. Die Mehrheit der Befragten der Mobilitätserhebung in Essen wünscht sich räumlich und baulich getrennte Radwege vom motorisierten Verkehr“, hebt er hervor.

Bürgerinnen und Bürger nutzen ihre Stimme für den Wandel

Volks- und Bürgerentscheide können den Wünschen der Bürgerinnen und Bürger eine Stimme geben. Dank der bundesweiten Initiative „Aufbruch Fahrrad“, die fast 207.000 Unterschriften für eine grundlegende Verkehrswende sammeln konnte, wird nun auf Bundesebene vieles für den Radverkehr geplant. Der wichtigsten Forderung des Volksbegehrens, den Radverkehr im Land auf 25 Prozent zu steigern, wird mit zahlreichen Projekten entgegengekommen. In einem Papier mit dem Titel „Eckpunkte für ein Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz“ fasst die Landesregierung die geplanten Details zusammen: Es sollen ein umfängliches Netz an Radwegen mit einheitlicher Beschilderung und konsequenter Beleuchtung, Radschnellwege, ein „Radvorrangnetz“ und weitere lokale Radverbindungen entstehen.

Insgesamt zeichnet sich ab: Ein Wandel zu mehr und verbesserter Fahrradmobilität ist in vielen Teilen der Bevölkerung gewünscht. Um den Essener Entscheid steht es ebenfalls gut. Laut Gesetz muss ein Bürgerbegehren Unterschriften von drei Prozent der Wahlberechtigten sammeln – das hat der Radentscheid innerhalb von sieben Wochen mit über 17.000 Stimmen (Stand 5.7.2020) bereits geschafft. Obwohl das Ziel erreicht ist, will die Essener Fahrradlobby weitere Unterschriften sammeln, um den Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen.

Mehr über den Radentscheid Essen und zum Thema Radverkehr erfahren Sie im Interview des Projekts Correctiv mit Dr. Björn Ahaus.

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