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Brennpunkt Verkehrswende

Strikte Fastenkur statt Leben aus dem Vollen

Position
Berlin – 11. Juni 2021

Klimaschutz kostet viel Geld und wird die Lebensumstände weithin verändern. Dazu ist nachhaltige Mobilität überlebenswichtig – die Verkehrswende. Auch sie gibt es nicht zum Nulltarif. Die Diskussion um die Benzinpreise zeigt: Im Wahlkampf-Populismus wird das kräftig ignoriert.

Die rote Karte kam kürzlich vom Europäischen Gerichtshof. Deutschland wurde dafür verurteilt, dass die Grenzwerte für Stickstoffoxid in 26 Städten Jahre lang erheblich überschritten wurden. Kläger war die EU-Kommission. Wie peinlich für Deutschland. Noch peinlicher die Urteilsbegründung: Es seien „offenkundig nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen” gegen die Emissionen eingeleitet worden. Der Vorwurf bleibt, auch wenn das Bundesumweltministerium beschwichtigend darauf hinwies, dass das Urteil einen Zeitraum bis 2016 im Visier hatte und sich inzwischen das Problem nur noch in wenigen Städten stelle. Überzeugender wurde es auch nicht, als man sich dann noch versuchte herauszureden: Alles würde ja besser, da immer mehr Busse mit Batterieantrieb fahren würden, erklärte die Bundesumweltministerin in der Tagesschau. Das ist zwar auf den ÖPNV bezogen erfreulich und richtig. Es ignoriert aber, dass der Großteil der Stickstoff-Emissionen nicht vom Linienverkehr, sondern von der Masse der PKW und LKW ausgestoßen wird.

Die Äußerung der Ministerin passt aber ins Bild. So verdrängt die Verkehrspolitik schon seit Jahrzehnten, dass Verkehr in erheblichem Maß „externe Kosten” verursacht, durch Umweltzerstörungen und Unfallfolgeschäden. Gerade jetzt haben Wissenschaftler aus mehr als zwei Dutzend renommierten Forschungseinrichtungen in einer vom Bundesforschungsministerium finanzierten Studie für das Energiewendeprojekt „Ariadne” einmal mehr zu diesem Thema Alarm geschlagen. Die externen Kosten belasten demzufolge das Bruttosozialprodukt jährlich mit 13 bis 19 Prozent, sprich zwischen 450 und 670 Milliarden Euro! Ein klarer Wohlstandsverlust, sagt die Studie.

Die Schlussfolgerung der Wissenschaft ist konsequent. Klimawandel, Luftverschmutzung, Überdüngung, Plastikmüll oder Staus als Folgekosten für die Gesellschaft sollten durch Umwelt- oder Lenkungssteuern den Verursachern angelastet werden. Mit dem klaren Ziel, so starke Anreize für nachhaltigeres Wirtschaften zu setzen. Die Hochrechnungen sehen zusätzliche Steuereinnahmen von über 500 Milliarden Euro, bis zu 70 Prozent zusätzlich zum heutigen Steueraufkommen. Damit könnten andere Steuern zur Entlastung der Bürger, zum sozialen Ausgleich, gesenkt werden – ein Thema, das für eine vernünftige Klimaschutzpolitik mit steigenden Verbrauchspreisen immer mehr an Wichtigkeit gewinnt.

Doch was passiert tatsächlich? Der Klimaschutz wird schon wieder in den öffentlichen Diskussionen klein geredet, im Klein-Klein der vorgeblichen Klientelpolitik. Weitere Benzinpreiserhöhungen? Nein, der Bürger muss davor bewahrt werden. Erhöhung der CO2-Abgabe für Mietwohnungen? Doch bloß nicht unter Beteiligung des Vermieters! Ob das den Klimawandel aufhält? Es ist an der Zeit, mit dem Verdrängen der lebensbedrohlichen Entwicklung radikal aufzuhören. Dass unsere Politik beherzt handeln kann, hat sie – trotz aller Widrigkeiten und einiger Versäumnisse – in der Pandemie gezeigt. Klare Worte und Entscheidungen sind in der nächsten Legislaturperiode überfällig. Wer die Augen vor dem rasanter werdenden weltweiten Klimawandel verschließt, gehört nicht ins Parlament.

Auch jeder einzelne von uns kann aktiv zur Mobilitätswende beitragen. Es ist ein bisschen so, wie wenn der Hausarzt etwas drängender zum Abspecken rät. Dann ist vor allem Konsequenz gefragt: von allem etwas weniger, etwas gesünder, mehr Bewegung. Da kommt einem der Umweltverbund von Fußgängern, Radfahrern und ÖPNV schon hilfreich entgegen: Verkehrsverlagerung, Verkehrsvermeidung statt des Lebens aus dem Vollen – das ist schon ganz im Sinne der Therapie, auch der Klima-Therapie.

Foto: Eberhard Krummheuer

ÜBER DEN AUTOR

Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.

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