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Brennpunkt Verkehrswende

Bahn statt Radweg

Position
Berlin – 24. Juli 2020

Beeindruckend: Mit der Reaktivierung von 4000 Kilometern Schienenstrecken könnten drei Millionen Menschen wieder Bahnanschluss bekommen. Aber der Weg ist weit und steinig.

Die Euphorie war groß wie selten. Mit ihrer im Juli vorgelegten aktualisierten Vorschlagsliste zur Reaktivierung von still gelegten Eisenbahnstrecken landeten VDV und Allianz pro Schiene in vielen betroffenen Regionen einen Volltreffer. Begeisterung in den lokalen Medien über das denkbare „Comeback der Schiene”, engagierte Wortmeldungen aus Rathäusern und Kreistagen. Aber auch empörte Kritik, wenn bestimmte lokale Strecken in der Liste nicht für eine Wiederbelebung vorgeschlagen werden. Und die Ausnahme: Kommunen, die ungern auf den asphaltierten Radweg verzichten wollen, der auf dem nutzlos gewordenen Bahndamm entstanden ist.

Klimaschutz wird konkret

So kam vielerorts unter dem Eindruck der Klimaschutzpolitik eine intensive Diskussion in Gang. Im öffentlichen Bewusstsein hat der Wert und Nutzen aufgegebener Schieneninfrastruktur offensichtlich an Gewicht gewonnen. Die Zeiten, da Bahnstrecken sang- und klanglos aus dem Verkehr gezogen wurden, könnten zu Ende gehen. Die Verkehrswende beginnt auf einmal, sich von der abstrakten Erörterung in konkrete, auch ganz persönliche Perspektiven zu wandeln.

Leuchtturmprojekt vor Erweiterung

Gute Beispiele für einen attraktiven Schienenverkehr gibt es längst. Eines der aktuellen Leuchtturmprojekte ist die Bentheimer Eisenbahn in Niedersachsen, die nahe der niederländischen Grenze im vergangenen Jahr, nach über vier Jahrzehnten Stillstand im Personenverkehr, wieder auf die Schiene ging und alle Fahrgastprognosen übertrumpfte. Diskutiert wird jetzt sogar die Erweiterung über die Grenze – auf einer Strecke, die schon mehr als hundert Jahre alt ist.

Hart am Ball bleiben

Doch noch sind solche Projekte eher vereinzelt. Knapp 1000 Kilometer Strecke wurden in den letzten 25 Jahren für den Personenverkehr reaktiviert. Aber 3600 Kilometer wurden stillgelegt. Eine Trendumkehr hat, wenn überhaupt, erst sehr bescheiden begonnen. Das Comeback des Schienenverkehrs braucht vor allem vor Ort hartnäckige Fürsprecher, die wieder und wieder Notwendigkeit und Chancen ihres konkreten Reaktivierungsprojektes in den politischen Dialog einbringen – die hart am Ball bleiben, damit Ideen für die Wiederbelebung der Eisenbahn nicht wie Strohfeuer verpuffen.

Geduld in der Bürokratie

Natürlich erfordert die Erweckung von Bahnanlagen aus dem Dornröschenschlaf nahezu immer und überall erhebliche Investitionen in Bau- und Bahninfrastruktur, doch Geld ist da. Bund und Länder öffnen die Töpfe zur Finanzierung von Reaktivierungsplänen. Unabhängig von der Investition brauchen solche Vorhaben sehr viel Geduld, um sie im deutschen Behörden-Dickicht der Zuständigkeiten, Vorschriften und Zulassungsverfahren Schritt für Schritt voran zu bringen.

Das „GuteSchieneRückkehrGesetz“

In der Zeitschrift „Der Nahverkehr” hat ein mit dem ÖPNV befasster Kommunalbeamter aus Nordhessen deshalb kürzlich Erleichterungen gefordert. Hilfreich wäre nach seiner Meinung ein „GuteSchieneRückkehrGesetz“ mit pragmatischen Ansätzen zur Neueröffnung von Schienenstrecken. Wie weit aber die Wege sind, zeigt ein Detail: Bisher taucht das Thema „Reaktivierung” im „Masterplan Schienenverkehr” des Bundesverkehrsministeriums mit keiner Silbe auf.

Foto: Eberhard Krummheuer

ÜBER DEN AUTOR

Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.

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