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Individuelle statt einseitige Mobilitätsförderung

Position
Berlin – 20. Mai 2020

Sich abzeichnende Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste – die Krise wirkt, die Wirtschaft zittert. Von der Bundesregierung werden großzügige Hilfspakete geschnürt. Zurzeit noch in Abstimmung: die Kaufprämie für Pkw. Was die Verkehrswende betrifft, wäre sie ein herber Rückschlag – zumal es Alternativen gibt.

Großzügige Konjunkturprogramme der Bundesregierung tragen dazu bei, dass die Existenz vieler Branchen bis auf weiteres gesichert wird. Staatliche Subventionen oder Kredite schaffen ein wenig Entlastung, so dass Unternehmen die Corona-Krise überleben. Ein weiterer Weg der Wirtschaftsförderung: Kaufanreize schaffen. Eine Idee, die diesen Gedanken aufnimmt, wird zurzeit kontrovers in den Medien diskutiert – die Kaufprämie für Autos. Laut Kraftfahrt-Bundesamt sind die Zulassungen der Neuwagen im April 2020 um 61 Prozent und bei den Gebrauchten um 44 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat eingebrochen. Die Kaufprämie funktioniert ähnlich wie die Abwrackprämie 2009: wird ein Neuwagen gekauft, erhält der Käufer einen subventionierten Preiserlass. Eigentlich für Anfang Mai angedacht, vertagte die Regierung ihre Entscheidung hierzu kürzlich auf Anfang Juni. Wohl auch, weil die breite Akzeptanz solcher einseitigen Maßnahmen in der Öffentlichkeit nachgelassen hat.

Mehr Autos auf den Straßen = mehr Stau und mehr Emission

Auch wenn Normalität im Alltag gerade Mangelware ist und die Erinnerungen womöglich verblasst sind: Eigentlich herrscht in den Metropolen zur Rushhour Stau – schlechte Luft, stetiger Lärm, verlorene Zeit. In Anbetracht der EU-Klimaziele braucht Deutschland mehr individuell gestaltete Mobilitätsketten und mehr umweltfreundliche Mobilität. Eine Kaufprämie für Autos wäre das falsche Zeichen und ein Rückschlag für alle Bestrebungen in Richtung Verkehrswende.

Zwar betont die Regierung, dass vorwiegend emissionsfreie Fahrzeuge gefördert werden sollen – doch gibt es bereits seit einigen Jahren Kaufprämien für E-Autos und Hybride, die weit großzügiger sind als die Abwrackprämie von 2009. Trotzdem macht der Anteil der E-Auto-Varianten vor der Krise nur zwei Prozent der Pkw-Neuzulassungen aus. Unsicherheiten bezüglich der Infrastruktur sowie der Lademöglichkeiten schrecken anhaltend Käufer ab. Würde die Prämie bewirken, dass demnächst mehr E-Autos auf deutschen Straßen fahren? Der Wirtschaftswissenschaftler und Elektromobilität-Experte Ferdinand Dudenhöffer glaubt, dass eine erneute Erhöhung der Prämie den Anteil der E-Autos kurzfristig allenfalls auf vier bis fünf Prozent der Zulassungen steigern könnte, so zitierte kürzlich die Zeit. Klar ist auch, dass sich die Hoffnung auf eine Umverteilung des städtischen Verkehrsraums zugunsten des Umweltverbundes mit einem einfachen Austausch elektrischer anstelle fossiler Pkw-Antriebsarten getrübt würde.

Welche Privatpersonen profitieren von der Prämie?

Neben dem tatsächlichen Nutzen für die Umwelt und Wirtschaft, sollte auch der Aspekt der Exklusion einer solchen staatlichen Maßnahme geprüft werden. Die Krise hat ihre Kreise gezogen. Kurzarbeit, Arbeitsplatzverlust und unsichere Verhältnisse sind die aktuellen Sorgen der Menschen. Diejenigen, die sich zur jetzigen Zeit ein Auto kaufen, sind hochsolvent – und würden auch ohne Prämie höchstwahrscheinlich einen Kauf tätigen. Darüber hinaus besitzen schätzungsweise 13 Millionen volljährige Deutsche keinen Führerschein. Entweder, weil sie bewusst drauf verzichten, die finanziellen Möglichkeiten es nicht zulassen oder weil sie mobilitätseingeschränkt sind. Viele Menschen steigen zurzeit um – auf das Fahrrad, den Tretroller oder, wenn es die Entfernungen zu lassen, gehen zu Fuß. Die Anteile des Fahrradverkehrs haben die letzten Monate stark zugenommen. In Großstädten wurden kurzerhand Auto- in Fahrradspuren umgewandelt. Mehr denn je wird Platz für Radfahrende benötigt.

Auch wenn der ÖPNV der große Verlierer der Corona-Krise zu sein scheint und aktuell einen argen Imageschaden erleidet: Als Teil der Grundversorgung fuhren Busse und Bahnen auch zur Hochzeit coronabedingten Beschränkungen im Schnitt mit einem 80-prozentigen Angebot weiter und brachten alle, die auf die Öffentlichen angewiesen sind, zur Arbeit. Ein System wie der ÖPNV müsste mindestens genauso gefördert werden, wie ein Autokauf – wenn nicht sogar stärker. Man kann sich leicht vorstellen, was passiert, wenn die Fahrgäste Bus und Bahn auf Dauer meiden. Die Städte würden von Autokolonnen ungeahnten Ausmaßes durchzogen. Der VDV und weitere Verbände der Branche fordern daher einen „ÖPNV-Rettungsschirm“. „Der Bund und die Länder müssen die Branche vor nachhaltigem wirtschaftlichem Schaden schützen, denn Busse und Bahnen sind nicht nur während der aktuellen Krise systemrelevant, sondern auch danach. Die Klimaschutzziele im Verkehrssektor sind durch Corona nicht auf einmal verschwunden,“ betont VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff.

Individuelle Mobilitätsbedürfnisse berücksichtigen

Mobilität ist vielfältig und mehr als Autofahren. Warum also nicht den Bürgerinnen und Bürgern die Wahl selbst überlassen, welche Branche aus dem Verkehrssektor unterstützt wird? Eben dieser Gedanke wurde vor kurzem von Verbänden der Zivilgesellschaft und NGO der Regierung als branchenübergreifende Mobilitätsprämie vorgetragen und wird vom VDV unterstützt.

Dass die Automobilbranche in naher Zukunft finanzielle Hilfe erhalten wird, ist abzusehen. Dabei sollte die Regierung allerdings nicht vergessen, dass es wortwörtlich genügend andere, akute Baustellen gibt, um die Mobilität tatsächlich besser, attraktiver und umweltfreundlicher zu gestalten. Politiker, Journalisten und Klimaaktivisten haben bereits eine Vielzahl von alternativen Finanzierungshilfen formuliert: modernere und elektrifizierte Busflotten, Ausbau und Elektrifizierung von Schienen, mehr Fahrradschnellstraßen, der Umbau von Stadtkernen zu Gunsten von Fußgängern, die Förderung von RufBussen auf dem Land. Diese Liste könnte noch um viele weitere Punkte ergänzt werden.

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