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Verkehrswende in Coronazeiten:
„Wir dürfen die Klimakrise nicht vergessen“

News
Berlin – 01. September 2020

Über die Coronakrise dürfen wir die Klimakrise nicht vergessen. Und: Für die nachhaltige Mobilität darf es keine Ausreden mehr geben. Das betont Dr. Elisabeth Oberzaucher, Evolutionsbiologin an der Universität Wien und wissenschaftliche Leiterin des Vereins "Urban Human“. Sie erklärt Verkehrsunternehmen, wie sie sich an den evolutionär entwickelten Bedürfnissen ihrer Kunden orientieren können. So kann die Verkehrswende in Coronazeiten gelingen.

Die Coronakrise hat umfangreiche Auswirkungen auf unsere Mobilität. Viele Menschen fahren deshalb nicht mehr mit Bus und Bahn. Macht das Sinn?

Dr. Oberzaucher: Bei uns in Österreich wurden verschiedene Erhebungen durchgeführt und danach ist der ÖPNV nicht der Ort, an dem man sich ansteckt. Wer sich im Wirtshaus mit Freunden auf ein Bier trifft, kann getrost mit Bus und Bahn dorthin fahren. Der ÖPNV ist genauso sicher wie jeder andere öffentliche Raum.

Nun ist die Pandemie aber noch lange nicht vorbei ...

Dr. Oberzaucher: Natürlich bleibt die Pandemie eine enorme Herausforderung für die ganze Welt. Aber wir dürfen über die Coronakrise die Klimakrise nicht vergessen. Das wäre fatal. Die Klimakrise ist ganz sicher die größere Krise. Und die Verkehrswende ist ein zentraler Beitrag zur Krisenbewältigung. Deshalb fahren wir gut mit Bussen und Bahnen – natürlich immer unter der Voraussetzung, dass wir uns weiterhin vernünftig verhalten, also den Abstand wahren, Maske tragen, Hände waschen, Niesetikette beachten usw. Da ist jeder Einzelne gefragt. Jeder Einzelne trägt dazu bei, das Infektionsrisiko zu verringern und so die Coronakrise weiterhin in Schach zu halten. Das gilt nicht nur für den ÖPNV.

Die Fahrgastzahlen in Deutschland bewegen sich – im Vergleich zur Zeit vor dem Lockdown – mit 50 bis 60 Prozent nach wie vor auf einem niedrigen Niveau. Was können die Verkehrsunternehmen tun, um Fahrgäste zurück zu gewinnen?

Dr. Oberzaucher: Die Verkehrsunternehmen müssen mit gutem Beispiel vorangehen und es ihren Kunden so leicht wie möglich machen, die neuen Regeln in Bussen und Bahnen zu befolgen. Wer beispielsweise seine Maske vergessen hat, sollte einfache Masken für kleines Geld unkompliziert an Automaten kaufen können. Darüber hinaus müssen die Verkehrsunternehmen Vertrauen schaffen. Ganz wichtig ist da die Sauberkeit von Fahrzeugen und Haltestellen. Denn das ist zurzeit ein mehr als grundlegendes Bedürfnis der Fahrgäste. Wenn wir sehen, dass Reinigungspersonal unterwegs ist und Menschen für Sauberkeit sorgen, dann gewinnen wir Vertrauen in die Hygienemaßnahmen der Verkehrsunternehmen. Und dann leisten wir auch gerne unseren Beitrag, damit wir alle mit einem guten Gefühl in Bussen und Bahnen unterwegs sind.

Bund, Länder, Kommunen und die Verkehrsunternehmen in Deutschland haben die neue Gemeinschaftskampagne #BesserWeiter gestartet, um das Vertrauen der Menschen in den ÖPNV wieder zu stärken. Kann die Verkehrswende in Coronazeiten (noch) gelingen?

Dr. Oberzaucher: Der Lockdown hat viele gewohnte Handlungen verändert, gerade auch das Mobilitätsverhalten. Dabei sind die meisten Menschen eben nicht vom ÖPNV wieder zurück aufs Auto umgestiegen, sondern auf andere, nachhaltige Mobilitätsformen. Gerade in den Städten sind wir mehr zu Fuß gegangen oder mit dem Rad gefahren. Darin liegt sehr viel Potenzial für die Verkehrswende, das jetzt für die Zukunft geschöpft werden muss. Konkret: In unseren Städten brauchen wir mehr Platz für die muskelbetriebene Mobilität, also Rad- und Fußwege. In Kombination mit einem zuverlässigen ÖPNV brauchen wir dann kein Auto mehr. Und deshalb brauchen wir auch keine finanziellen Heftpflaster für eine rückwärts orientierte Automobilindustrie. Natürlich müssen Arbeitsplätze und Existenzen gesichert werden, aber dafür braucht es keine Autoindustrie, sondern mutige Schritte nach vorne. Für die nachhaltige Mobilität jedenfalls darf es keine Ausreden mehr geben, auch nicht die Coronakrise.


ZUR PERSON

Mag. Dr. Elisabeth Oberzaucher
Mail: elisabeth.oberzaucher@univie.ac.at
https://www.oberzaucher.eu
Tel.: +43 660 405 60 62

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